Im Gespräch mit einer Lehrerin zum Bildungssystem des Camps

Unter Fluchtbedingungen ein eigenes Bildungssystem zu entwickeln, ist eine große Herausforderung. Trotzdem haben die Menschen aus Mexmûr seit dem Beginn ihrer Flucht die Bildung von Schülerinnen und Schülern nie vernachlässigt. Heute verfügt das Camp über einen eigenen Bildungsrat, in dem Ansätze eines alternativen Bildungskonzepts mit basisdemokratischen Elementen umgesetzt werden; und das trotz schwieriger Bedingungen und beschränkten Mitteln.
Viele Absolventen des Bildungssystems sind heute aktive Mitglieder der Selbstorganisierung des Camps und geben ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Die erfahrenen Lehrkräfte in Mexmûr tragen ihre Erfahrungen auch nach Rojava und Şengal. Wir sprachen mit der Lehrerin Zeynep über das Bildungssystem in Mexmûr.

Kannst du uns ein wenig über die Geschichte und den aktuellen Zustand des Bildungssystems von Mexmûr erzählen?

Ich habe 1996 angefangen, als Lehrerin zu arbeiten. Ich war selbst noch sehr jung, sodass einige meiner Schülerinnen und Schüler sogar älter waren als ich. Wir haben uns damals das notwendige Wissen in der Praxis angeeignet. Die Vereinten Nationen (UN) hatten zuerst geplant, eigene Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns damals aber dagegen ausgesprochen, weil wir unsere Schülerinnen und Schüler selber unterrichten wollten. Erst relativ spät haben die UN dann Schritt für Schritt Hilfe für den Unterricht in Form von Stiften, Heften etc. zur Verfügung gestellt. Wir waren am Anfang sehr wenige Lehrkräfte, hatten aber viele Schülerinnen und Schüler. Entsprechend viel hatten wir zu tun. Wir haben vormittags und nachmittags jeweils vier Stunden unterrichtet. Abends haben wir uns dann als Lehrkräfte in selbst organisierten Lehrgängen weiter gebildet. Oft mussten wir zwischendurch auch Familien besuchen, deren Kinder Probleme hatten. Wir hatten also sehr volle Tage. Unsere Bedingungen waren zu Beginn sehr schwer. Wir hatten zum Beispiel keine Schulbücher. Abends trafen wir uns oft als Lehrkräfte und bereiteten Aufgaben vor, die wir am folgenden Tag in der ersten Klasse unterrichten wollten. Wir hatten auch keine Hefte. Manchmal gaben wir ein Heft zwei bis drei Schülerinnen und Schülern. Zum Teil radierten wir die Inhalte aus den Heften wieder weg, um sie noch einmal benutzen zu können. Auch Stifte hatten wir nur sehr wenige, sodass wir einen Stift in drei teilten, um sie auf unsere Schülerinnen und Schüler aufzuteilen. So haben wir damals angefangen.

Aber heute laufen unsere pädagogischen Arbeiten gut. Es gibt hier fünf Kindergärten, vier Grundschulen, zwei Mittelschulen und eine Oberschule. Knapp 200 Lehrkräfte verschiedenster Fachrichtungen unterrichten fast 3.000 Schülerinnen und Schüler. Einige von ihnen sind mittlerweile selbst Lehrkräfte geworden und arbeiten an unseren Schulen. Andere arbeiten heute bei uns als Ärztinnen und Ärzte. Wieder andere sind Anwälte oder Ingenieure geworden. Trotz all der Schwierigkeiten haben wir es bis hierhin geschafft. Auch heute haben wir natürlich noch Schwierigkeiten. Weil wir über keine eigene Universität verfügen, studieren unsere Jugendlichen in Hewlêr (Erbil). Dort haben sie große Schwierigkeiten. Das dortige Bildungssystem unterscheidet sich sehr von unserem. Es gibt auch Sprachschwierigkeiten. Auch aus politischen Gründen werden unseren Jugendlichen in Hewlêr immer wieder Schwierigkeiten gemacht. Sie werden zum Teil mit politischen Verboten belegt. Heute verfügen wir über eigene Schulbücher für alle Fächer vom Kindergarten
bis zur Oberschule. Für den Kurdischunterricht haben wir eigene Lehrbücher bis zum letzten Jahr der Oberschule. Auch die Fächer Chemie, Physik, Biologie, Mathematik, Geographie, Ökologie und Jineolojî unterrichten wir alle mit eigenen Schulbüchern. All diese Schulbücher haben wir selbst erstellt. Während der Sommerferien arbeiten wir als Lehrkräfte gemeinsam an unseren Schulbüchern. Wir haben dafür Kommissionen ins Leben gerufen, zum Beispiel eine Geographie- und eine Geschichtskommission.
Für alle Unterrichtsfächer wurden Kommissionen gegründet, welche die Schulbücher erstellen. Seit mehreren Jahren können wir unseren Schülerinnen und Schüler eigene Schulbücher zur Verfügung stellen. Das war zu Beginn noch nicht der Fall, da uns die Mittel dafür fehlten. Die Lehrkräfte unterrichteten, indem sie eigene Texte in Hefte schrieben. Heute ist die Situation deutlich besser, sodass alle Schülerinnen und Schüler eigene Lehrbücher für die jeweiligen Fächer haben.

Die Hitze hier vor Ort bereitet uns große Schwierigkeiten. Die Sommerferien enden zwar am 13. September, aber bis Ende September fällt uns das Unterrichten auf Grund der Hitze sehr schwer. Es ist wirklich sehr heiß und uns fehlen die Mittel entsprechende Bedingungen in den Schulen zu schaffen. Es gibt keine Klimaanlagen in den Schulen und auch die Stromprobleme verkomplizieren die Lage noch mehr. Am 18. Mai beginnen bei uns die Sommerferien, aber spätestens ab Anfang Mai sind die Wetterbedingungen aufgrund der Hitze äußerst ungünstig für das Unterrichten.
Außerdem ist unsere Zahl der Schülerinnen und Schüler sehr groß. Wir verfügen nicht über genügend Lehrkräfte für derart viele Schülerinnen und Schüler. In einigen Klassen werden bis zu 38 Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet. Das macht uns natürlich große Schwierigkeiten. Aber weil wir nicht über genügend Schulgebäude verfügen, bleibt uns keine andere Wahl als unter diesen Bedingungen zu unterrichten. Mit 20 bis 25 Kindern pro Klasse würde der Unterricht produktiver verlaufen und wir könnten uns besser um die einzelnen Schülerinnen und Schüler kümmern.
Seit mehreren Jahren führen wie Gespräche mit der UN und der südkurdischen Regierung, um neue Schulen hier im Camp zu bauen. Doch sie verwehren uns die Mittel dafür. Auch die irakische Zentralregierung zeigt kein wirkliches Interesse. Weil unser Camp direkt an der Grenze zwischen dem Irak und Südkurdistan liegt, sagen uns die Verantwortlichen in Hewlêr immer wieder, wir sollten uns an die Verantwortlichen in Mossul wenden. Die Verantwortlichen in Mossul verweisen uns auf dieselbe Weise an Hewlêr. Wir stellen Anträge für den Bau von Schulen oder die Bereitstellung von Schulmaterialien. Manchmal verweigern sie uns die notwendigen Schulmaterialien vollständig oder stellen sie uns nur in sehr geringem Umfang zur Verfügung. Normalerweise müssten sie uns die entsprechenden Schulmaterialien zur Verfügung stellen, genauso wie sie es bei allen anderen Schulen in der Region tun. Die UN hat früher auch gewisse Materialien zur Verfügung gestellt. Mittlerweile hat sie aber jegliche Hilfe in diesem Bereich eingestellt. Das macht uns natürlich Schwierigkeiten.

 

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